Um Kunstfälschungen zu erkennen, hat das Schweizer Start-up Art Recognition eine KI entwickelt. Dazu wurde der Algorithmus mit mehr als hunderttausend Bildern trainiert. Wie zuverlässig ist das Werkzeug?
Es war einer der größten Skandale auf dem Kunstmarkt der vergangenen Jahrzehnte, als der deutsche Maler Wolfgang Beltracchi 2011 wegen Kunstfälschungen verurteilt wurde. Liebe Carina Popovici, hätte der Algorithmus von Art Recognition die Bilder des „Jahrhundertfälschers“ als Fälschungen erkannt und enttarnt? „Ja, davon bin ich überzeugt.“
Auch wenn Experten daran scheiterten? Sogar absolute Experten für die Bilder von Max Ernst oder Heinrich von Campendonk, zwei der Maler, die Wolfgang Beltracchi besonders gut kannte?
Ja, und das ist einer der Gründe, warum ich mir so sicher bin. Unser Algorithmus ist ein Programm. Kein Mensch. Der Fälscher Beltracchi war auch deshalb so erfolgreich, weil er wahrscheinlich Experten beeinflusst hat – ich drücke es vorsichtig aus. Er hat sie wahrscheinlich bestochen, indem er ihnen einen Anteil am Verkauf der Bilder in Aussicht gestellt hat. Das ist eine Schwäche des Kunstmarktes. Manchmal gibt es für einen Künstler einen besonders berühmten Experten. Der hat viel Macht. Er kann mit seinem Urteil den Wert eines Bildes von 100 Dollar auf zehn Millionen Dollar steigern.
Könnte ein Fälscher Ihren Algorithmus korrumpieren?
Man sagt, jeder Mensch sei käuflich. Aber bei uns müsste der Fälscher nicht nur mich bestechen, sondern ein ganzes Team, das die Bildanalysen durchführt. Unsere Programmierer, unsere Kunstwissenschaftler. Außerdem ist unser Algorithmus nicht an Geld interessiert, sondern an Daten.
Daten können auch manipuliert werden…
…natürlich, das ist klar. Aber nicht so, wie sich das manche Leute vorstellen. Wir hatten mal ein unmoralisches Angebot: „Hier habt ihr zehn Bilder eines Künstlers, trainiert damit eure Software und dann bestätigt ihr mir die Echtheit eines Bildes“. Zehn Bilder! Das Ergebnis wäre nicht aussagekräftig. Unser Algorithmus braucht viel mehr Bilder.
Wie viele Bilder sind „viel mehr“?
Wir haben unseren Algorithmus bisher mit über hunderttausend Bildern trainiert. Das Programm kann zu dreihundert Künstlern eine Expertise abgeben.
Wie wird trainiert?
Visual Transformers heißt das neuronale Netz, mit dem wir arbeiten. Eine andere Form von Transformern steckt auch hinter ChatGPT. Dieses vortrainierte Netz haben wir mit unseren Daten für unsere Zwecke weiter trainiert. Vereinfacht gesagt funktioniert das so: Wir füttern das Netz mit authentischen Bildern, aber auch mit Negativbeispielen – dazu gehören gute Fälschungen ebenso wie Bilder von Followern eines Künstlers, Werke aus seiner Schule, Imitationen und sogar Bilder, die von einer generativen KI im Stil eines Künstlers erstellt wurden. Normalerweise speisen wir etwa 90 Prozent eines Datensatzes in das Training ein, die restlichen zehn Prozent lassen wir zunächst beiseite und fügen sie erst nach dem Training hinzu, um zu testen, ob der Algorithmus erfolgreich gelernt hat.
Auf diese Weise überprüfen wir, ob die Bilder, die er noch nicht gesehen hat – sowohl echte als auch unechte – richtig erkannt werden. In unzähligen Durchläufen testet unser Algorithmus selbstständig bestimmte Merkmale in diesen Bildern. Hat er mit einem Muster keinen Erfolg, verwirft er es. Bestätigt sich eine Vermutung immer wieder, wendet der Algorithmus das Merkmal immer konsequenter an, um einen Künstler immer besser kennenzulernen. Wir beantworten seine Trainingsergebnisse mit „richtig“ oder „falsch“. Wir helfen dem Algorithmus, seine Annahmen zu gewichten.
Bei diesem sogenannten maschinellen Lernen weiß man oft nicht genau, wie der Algorithmus lernt.
Das ist richtig. Wir wissen nicht genau, wie der Algorithmus lernt, aber wir können Visualisierungen einbauen, die uns zeigen, welche Kriterien er bei seinen Entscheidungen stärker gewichtet als andere. Wir können den Algorithmus auch in Segmente unterteilen. Das zeigt uns, ob er zum Beispiel die Pinselführung eines Künstlers lernt. Das ist für uns besonders wichtig. Das ist wie ein Fingerabdruck. Wenn jemand die Pinselführung kopiert, und sei er noch so gut, erkennt der Algorithmus kleinste Unterschiede, also die Mühe, die in die Kopie im Vergleich zum Original gesteckt wurde.
Der Pinselstrich von Wolfgang Beltracchi ist anders als der von Max Ernst, auch wenn das Ergebnis täuschend echt aussehen mag. Darüber hinaus lernt der Algorithmus auch Farben und ihre Abstufungen, stilistische Eigenheiten und bevorzugte Motive eines Künstlers.
Wie gut sind die Urteile des Algorithmus?
Wenn der Algorithmus einen Künstler anhand von zweifelsfrei zugeordneten Bildern gelernt hat, kann er Bilder, die ihm gezeigt werden, mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit diesem Künstler zuordnen oder nicht. Die Trefferquote liegt in der Regel bei über 80 Prozent. Am Ende des Tages können wir dem Kunden sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass das Bild tatsächlich von dem Künstler stammt. Aber wir sagen auch immer: Eine 100-prozentige Garantie gibt es nicht. Das liegt auch daran, dass wir unsere Kunden nicht immer glücklich machen. Wenn sich ein Kunstwerk als Fälschung herausstellt, ist es oft kaum noch etwas wert.
Ihre Kunden können dann immer noch zu den Experten gehen, von denen ich gesprochen habe.
Natürlich. Und da bekommen sie dann oft zwei völlig gegensätzliche Einschätzungen. Der eine Experte sagt: „Ja, auf jeden Fall.“ Der andere: „Nein, auf keinen Fall.“ Solche Experten haben in der Regel ein großes Ego. Das kratzen wir mit unserem Algorithmus an. Ein Experte ist meist auf einen Künstler spezialisiert, manchmal auf eine Schule, selten auf eine ganze Epoche. Dafür braucht er oft sein halbes Forscherleben. Unser Algorithmus kann 20 Künstler in zwei Wochen lernen.
Das klingt, als würde künstliche Intelligenz den Beruf überflüssig machen.
Nein, das sehen wir nicht so. Unser Algorithmus ist ein Hilfsmittel. Er ergänzt andere bewährte Methoden wie die chemische Analyse der Farben oder der Leinwand. Auch deshalb arbeiten wir inzwischen mit Auktionshäusern in der Schweiz zusammen. Ein impressionistisches Gemälde zur Begutachtung nach Paris zu schicken, kostet mit Transport und Versicherung zehn- bis fünfzehntausend Franken.
Uns schicken sie nur ein paar Fotos. Das können sie sogar mit einem Handy machen, wenn die Kamera gut ist. Aufgrund unserer Analyse entscheiden die Häuser dann, ob sie das Bild noch einmal nach Paris schicken. Zum Beispiel, um eine weitere Meinung einzuholen oder wegen der Reputation, die wir noch nicht haben. Aber wir wollen die Experten in ihrer Arbeit unterstützen, nicht gegen sie arbeiten. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit ihnen den Kunstmarkt transparenter zu machen.
Fürchten Sie nicht, kopiert zu werden?
Das Netzwerk hinter unserem Programm ist kein Geheimnis. Auch andere Start-ups können damit arbeiten. Und dass maschinelles Lernen unschlagbar ist, wenn es darum geht, Muster in Texten und Bildern zu erkennen, ist auch nicht neu. Aber wir haben vier Jahre Vorsprung. Das heißt: Wir haben die Daten. Genauer gesagt: Wir haben kuratierte Daten. Die Bilddatenbank aufzubauen, um den Algorithmus zu trainieren, war vielleicht die größte Herausforderung. Es ist sehr aufwendig, hochauflösende Bilder aller Kunstwerke zusammenzutragen. Dazu haben wir nicht nur Open-Source-Datenbanken durchsucht, sondern auch mit Museen und Sammlern zusammengearbeitet.
Jedes Bild wird von unseren Kunsthistorikern durch eine Quellenrecherche in Werkverzeichnissen, in denen das Oeuvre eines Künstlers dokumentiert ist, verifiziert. Unser Algorithmus kann nur mit wirklich echten oder als Fälschung identifizierten Bildern trainiert werden. Sonst würde auch er Fälschern wie Wolfgang Beltracchi auf den Leim gehen.
Weitere Fälschungen die enttarnt wurden:
Lesen Sie auch: Fälschungen im Fokus 2024 – Von Bruehl