Im vergangenen Sommer beherrschte die Londoner Institution die Nachrichten mit seinem Skandal. Es wurde bekannt, dass über mehrere Jahre hinweg mehr als 2000 Objekte aus den Museumsdepots verschwunden waren. Als wäre das nicht beschämend genug, kam ans Licht, dass der Dieb ein Kurator des Museums war. Unter dem Pseudonym „Sultan1966“ hatte der Mann die Museumsstücke jahrelang auf der Online-Plattform eBay zu Spottpreisen verkauft.
Sein ruchloses Treiben wurde nur durch die Hinweise des dänischen Antiquitätenhändlers Ittai Gradel aufgedeckt. Gradel hatte zunächst selbst bei dem Händler eingekauft, schöpfte jedoch bald Verdacht und informierte die Museumsleitung. Das geschah im Jahr 2021. Erst im August des letzten Jahres, nachdem Gradel den Verwaltungsrat des Britischen Museums informiert hatte, wurde der Mitarbeiter entlassen und Ermittlungen eingeleitet. Museumsdirektor Hartwig Fischer, der zuvor die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geleitet hatte, trat zurück.
Rund 350 Stücke sind inzwischen wieder in den Besitz des Museums übergegangen, einige davon stammen von Gradel selbst. Gegenüber der Tageszeitung „Daily Telegraph“ berichtete er, dass er für die Objekte zwischen 15 Pfund und mehreren hundert Pfund bezahlt habe. Darunter sei auch ein Originalring aus der Ptolemäerzeit gewesen, den er für 150 Pfund erworben habe, weil er ihn zunächst für eine Kopie gehalten habe.
In einem Akt der Selbstkasteiung werden nun im British Museum bis zum 2. Juni 2024 zehn wiedergefundene Objekte in der Ausstellung „Rediscovering Gems“ gezeigt. Im Zentrum der Schau stehen Gemmen, geschliffene Edelsteine, zum Teil nur fingernagelgroße Schmuckstücke mit filigranen Gravuren.
Mit der Ausstellung erleben die zum Teil antiken Kunstobjekte derzeit eine kleine Renaissance. Denn ihre Blütezeit liegt weit zurück: Im 18. Jahrhundert waren Gemmen vor allem in wohlhabenden Kreisen beliebt, wo sie in Form von Ringen, Anhängern oder Schnallen als Statussymbol getragen wurden. Als im 19. Jahrhundert Fälschungen den Kunstmarkt überschwemmten und ihren Wert minderten, schwand das Interesse.
Wie kam es zu dem Skandal?
Die Tatsache, dass die Diebstähle so lange unbemerkt blieben, liegt in der Verantwortung des British Museums selbst. Von den rund acht Millionen Objekten der Sammlung sind viele nicht einmal katalogisiert. Die gestohlenen Stücke waren laut Angaben des Museums auch nicht Teil von Ausstellungen, sondern wurden im Depot aufbewahrt. Dadurch konnte der Dieb die Stücke jahrelang unbemerkt aus dem Gebäude schmuggeln.
Seit dem Bekanntwerden der Diebstähle bemüht sich das Museum intensiv darum, die gestohlenen Objekte wieder in seinen Besitz zu bringen. Dazu wurde laut der britischen „Times“ eine Taskforce aus „führenden Antiquitätenexperten“ gebildet. Darüber hinaus hat das Museum einen Fünfjahresplan vorgelegt, in dessen Rahmen alle Objekte katalogisiert werden sollen.
Trotz aller Bemühungen ist der Ruf des weltberühmten Museums nachhaltig beschädigt. Zumal eine alte Debatte neu entfacht wurde, die das Museum ohnehin unter Druck setzt: Immer wieder wird die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien aufgefordert, geraubte Kulturgüter und Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Zuletzt sorgte der Streit um die Marmorskulpturen des Parthenon-Tempels in Athen für einen diplomatischen Eklat zwischen Griechenland und Großbritannien. Athen fordert die Rückgabe, Großbritannien stellt sich quer.
Internationale Wellen des Skandals
In Griechenland wurde die Serie von Diebstählen zum Anlass genommen, ein beliebtes Argument der Briten zu entkräften. Die britische Kultureinrichtung könne nun nicht länger behaupten, das griechische Kulturerbe sei im British Museum „besser geschützt“ als in Griechenland, sagte Despina Koutsoumba, Vorsitzende des griechischen Archäologenverbands, dem britischen „Independent“.
Auch die griechische Kulturministerin Lina Mendoni stellte gegenüber der griechischen Wochenzeitung „To Vima“ die Glaubwürdigkeit der Institution infrage. „Wenn sich solche Vorfälle ereignen, stellt sich natürlich die Frage nach der Sicherheit und Unversehrtheit aller Exponate des Museums.“ Zu allem Überfluss enthüllte der „Telegraph“, dass der Kurator zum Verwalter derselben Skulpturen ernannt wurde, obwohl das Museum bereits über die Vorwürfe gegen ihn informiert war.
Die angespannte Situation eskalierte im November 2023, als der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis bei einem Besuch in Großbritannien die Forderung nach Rückgabe der Skulpturen wiederholte. Es sei, als würde man die Mona Lisa aufteilen und die eine Hälfte im Pariser Louvre und die andere im British Museum ausstellen, kritisierte er damals. Premierminister Rishi Sunak sagte daraufhin ein geplantes Treffen mit seinem Amtskollegen kurzfristig ab – sehr zum Ärger der Griechen.
Der Streit reicht weit zurück: Der britische Diplomat Lord Elgin hatte die Skulpturen Anfang des 19. Jahrhunderts als britischer Botschafter in Istanbul mit Zustimmung der osmanischen Führung aus dem Tempel entfernen lassen. Die Skulpturen wurden nach Großbritannien gebracht, wo Elgin sie 1816 an das British Museum verkaufte. Dort sind sie heute Teil der ständigen Ausstellung.
Deutscher Skandal
Die Offenlegung der Diebstahlserie hat dazu geführt, dass Museumsbetriebe weltweit die Katalogisierung ihrer Objekte ernst nehmen. In Deutschland hat es zwar noch keine vergleichbare Diebstahlserie durch hauseigene Mitarbeiter gegeben, aber Raubzüge in Museen sind dennoch keine Seltenheit. Im Jahr 2019 erschütterte der Juwelendiebstahl im Dresdener Grünen Gewölbe die Welt, für den später Mitglieder des Remmo-Clans verurteilt wurden. Bereits 2017 stahlen zwei Mitglieder eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum.
Im Gegensatz zu Großbritannien hat sich Deutschland in jüngster Zeit in Sachen Restitution deutlich reumütiger gezeigt. Vor zwei Jahren gab die deutsche Bundesregierung 20 sogenannte Benin-Bronzen an das westafrikanische Land Nigeria zurück – die wohl größte Rückgabe von Raubkunst aus der Kolonialzeit. „Benin-Bronzen“ ist ein Sammelbegriff für Kulturgüter, die im 19. Jahrhundert während der britischen Besatzung von Benin-Stadt geraubt und später an Museen und Privatsammlungen in aller Welt verkauft wurden.
Insgesamt waren bislang rund 1100 Bronzen in über 20 deutschen Museen zu sehen, und ein Großteil davon darf weiterhin als Leihgabe im Land bleiben. Das British Museum besitzt rund 900 Benin-Bronzen. Bislang hat es sich nicht zu einer Rückgabe bereit erklärt, auch nicht nach der erneuten Restitutionsforderung Nigerias aufgrund der hauseigenen Diebstähle. Der Druck auf das British Museum wächst. Zuletzt musste das Haus die Kommentarfunktion auf seiner Instagram-Seite abschalten, weil ein chilenischer Influencer dort eine Rückgabekampagne für zwei Moai-Statuen von der Osterinsel angeheizt hatte.
Zurück nach London
Zumindest vor Ort in London ist von den Negativschlagzeilen der vergangenen Monate wenig zu spüren. An einem Mittwochnachmittag ist der neoklassizistische Prunkbau gut besucht. Vor dem Eingang warten Scharen von Menschen geduldig auf die Taschenkontrolle. Manche scheinen nur wegen der Ausstellung „Gems“ gekommen zu sein.
In der Schlange filmt sich ein Mann mit seinem Handy und spricht freudig erregt in die Kamera: „Ich schaue mir heute die wiedergefundene Raubkunst an.“ Drinnen macht sich schnell Enttäuschung breit. Die Ausstellung beschränkt sich auf einen kleinen Raum mit dunklen Wänden. Auf die Frage, ob das die ganze Sammlung sei, antwortet eine Museumsmitarbeiterin mit einem entschuldigenden Lächeln: „Mehr haben wir im Moment nicht“.
Lesen Sie auch: Weitere Zeitungsartikel – Von Bruehl