Bereits im Februar haben wir über den verschollenen Klimt berichtet. Nun steht die Versteigerung des Werks vor der Tür. Am Mittwoch, dem 24. April, wird das unvollendete Werk „Bildnis Fräulein Lieser„, das jahrzehntelang in österreichischem Privatbesitz verborgen war, versteigert. Vorher kann das farbenprächtige Dreiviertelporträt noch bis Sonntag jeweils von 10 bis 17 Uhr im Kinsky besichtigt werden.
Das 140 mal 80 cm große Gemälde aus dem Jahr 1917, ein Werk aus dem Spätwerk des 1918 verstorbenen weltberühmten Künstlers, zeigt eine junge Frau in strenger frontaler Haltung vor rotem Hintergrund, umgeben von einem reich mit Blumen verzierten Schal um ihre Schultern. Beim Schätzpreis von 30 bis 50 Mio. Euro, den Michael Kovacek und Ernst Ploil, die Geschäftsführer von Im Kinsky, bei einem exklusiven Empfang am Dienstagabend präsentierten, hielt Kovacek es für durchaus „denkbar“, dass der Verkaufserlös bis zu 70 Mio. Euro erreichen könnte.
Um das Gemälde international zu bewerben, wurde es in den letzten Wochen auf Reisen geschickt und in Städten wie London, Zürich und Hongkong ausgestellt. Unabhängig von der erzielten Summe wird der Erlös gemäß einer Vereinbarung basierend auf den sogenannten „Washingtoner Prinzipien“ unter den möglichen Rechtsnachfolgern aufgeteilt.
Klimt und die Provenienz
Es gibt jedoch erhebliche Lücken in Bezug auf die Provenienz des Gemäldes. Die aktuellen Besitzer haben es vor etwa zwei Jahren von entfernten Verwandten geerbt, doch davor wurde es über mehrere Generationen weitervererbt, wobei die genaue Geschichte bis in die 1920er bis 1960er Jahre zurückreicht, als sein Verbleib während der Naziherrschaft unklar ist. Trotz intensiver Recherche gibt es keine Beweise dafür, dass das Werk vor oder während des Zweiten Weltkriegs geraubt, gestohlen oder anderweitig unrechtmäßig entzogen wurde.
Es ist auch nicht eindeutig geklärt, wen Klimt eigentlich gemalt hat. Bisher wurde angenommen, dass es sich um Constance Margarethe Lieser, die Tochter von Adolf Lieser, handelt. Allerdings haben Recherchen des Auktionshauses eine andere Möglichkeit aufgezeigt: Die Schwägerin von Adolf, Henriette Amalie Lieser-Landau, könnte als Auftraggeberin in Frage kommen. Somit könnte das porträtierte „Fräulein Lieser“ auch eine der beiden Töchter von Henriette sein: Helene, geboren 1898, oder Annie, geboren drei Jahre später. Diese haben nach Kriegsende zwar die Restitution von Vermögenswerten durchgesetzt, jedoch den betreffenden Klimt nie erwähnt oder zurückgefordert.
Angesichts dieser Unklarheiten und historischen Lücken haben die aktuellen Eigentümer beschlossen, mit den potenziellen Rechtsnachfolgern in Kontakt zu treten und im Einklang mit den „Washingtoner Prinzipien“ eine Vereinbarung zu treffen. Details dieser Vereinbarung wurden nicht bekannt gegeben, aber es wurde festgelegt, dass mit dem Verkauf des Kunstwerks und der Zahlung des Höchstgebots alle möglichen Ansprüche aller Beteiligten erfüllt sein werden. Dies bedeutet, dass es rechtlich unerheblich ist, wer das Gemälde in Auftrag gegeben hat und welche der drei möglichen jungen Damen auf dem Bild dargestellt ist.
Am 24. April wird nicht nur das „Bildnis Fräulein Lieser“ versteigert, sondern auch anderthalb Dutzend weitere Werke aus der Zeit der Wiener Moderne. Darunter befinden sich Gemälde von Egon Schiele, Koloman Mosers Entwurf für das Engelsfenster in der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof sowie mehrere Aktskizzen von Klimt, darunter solche zum Beethovenfries. Auch eine Studie für das „Bildnis Fräulein Lieser“ kommt unter den Hammer.