Berlin – Die Auktionatorin Irene Lehr beschreibt das Gefieder gefangener Tauben als „marmorgleich schillernd“. Meisterhaft hat der Maler Wilhelm Schabbon die Unruhe der Vögel und die beengte Enge im Korb festgehalten. Ein belgischer Bieter erwarb das locker gemalte Ölgemälde von 1931 für das Vielfache des anfangs angesetzten Schätzpreises von 12.800 Euro. Im Folgenden sind die Verkaufspreise nach dem Hammerangebot mit Aufschlag aufgeführt.
Das Gemälde des Taubentransports ist eines von insgesamt 40 Werken aus der Kollektion westfälischer Expressionisten, die am 27. April vom Berliner Auktionshaus Irene Lehr versteigert wurden. Die Werke wurden von dem Rechtsgelehrten Hermann-Josef Bunte eingeliefert, der tendenziell erschwingliche Kunstwerke beisteuerte. Mit seiner Privatsammlung, die derzeit aufgelöst wird, hat der Bielefelder ein übersehenes Kapitel der Expressionismusgeschichte wiederentdeckt. Der Verkauf der Bunte-Sammlung erzielte einen Umsatz von rund 322.000 Euro mit Aufschlag, was annähernd der Schätzung entspricht, allerdings ohne Aufschlag. Es gab signifikante Steigerungen bei weniger bekannten Künstlern wie Edmund Kinzinger, deren niedrige Schätzpreise sich vervielfachten. Allerdings gab es auch zehn Rückgänge. Auf Nachfrage erläuterte die Auktionatorin, dass religiöse Themen und Männerporträts – außer Selbstporträts – heutzutage schwerer zu vermitteln sind.
Das höchste Gebot erzielte ein Gemälde mit dem Titel „Bauernblumenstrauß“ von Hermann Stenner. Ein Privatsammler aus Berlin erwarb es für mehr als 70.400 Euro und zusätzlich Stenners Gemälde „Astern“ für 25.600 Euro. Stenners ovales Selbstporträt geht in die Türkei, zusammen mit einem Halbakt von Christian Landenberger. Bei Lehr’s Versteigerung der Bunte-Sammlung hielten sich Museen und Händler zurück, während Privatsammler den Wert lang übersehener künstlerischer Positionen erkannten und von den meist niedrigen Startpreisen profitierten.
Selbst nach einer Vervierfachung der Schätzung ist Ernst Sagewkas dynamische Studie „Schnitter“ immer noch nicht als überteuert anzusehen. Eine Sammlung aus Österreich stimmte einem Preis von 15.360 Euro zu. Stenners Studie zur „Morgenstunde“ von 1924, die eine Frau beim Hochrollen ihrer Strümpfe zeigt, wurde von einem Sammler aus Potsdam für 8.448 Euro erworben. Jedoch war die Erwartung von 35.000 Euro für das Komponistenporträt Max Regers von Franz Nölken zu ambitioniert. Hier gab es keine Gebote, weder im Saal noch online. Irene Lehr schloss knapp 360 weitere vielversprechende Lose in einem fast siebenstündigen Marathon ab. Der Umsatz von brutto 2.647.150 Euro (ohne die Bunte-Sammlung) erfolgte diesmal weitgehend ohne größere sechsstellige Verkäufe. Lehr ist bekannt als eine gute Anlaufstelle für die Neue Sachlichkeit, die Novembergruppe und die Kunst aus der DDR. Ein Sammler aus München, der im Vorjahr bei Georg Scholz‘ verführerischem Gemälde von den Siesta haltenden Schwestern das letzte Gebot abgegeben hatte, griff diesmal gleich zweimal zu. Für das schöne Porträt von Scholz‘ Ehefrau Elisabeth stimmte er einem Preis von 104.960 Euro zu. Und das Bild seiner schlafenden, unbekleideten Frau, ein klassischer Akt – jedoch ohne Negligé und Strümpfe – wurde für 38.400 Euro erworben. Der viel sinnlichere Halbakt der in Seide gehüllten Schwestern hatte im Jahr 2023 einen Rekordpreis von 832.000 Euro erzielt.
DDR-Werke in der Berliner Auktion
Ein weiteres Werk der Neuen Sachlichkeit war erfolgreich. Rudolf Dischingers Porträt der selbstbewussten, modernen „Karola“ wurde für 56.120 Euro in die USA vermittelt.
Ein herausragendes Werk aus der DDR-Abstraktion war die kubistisch fragmentierte „Erschaffung der Pflanzen“ von Stanislaw Kubicki, die von einem Privatsammler aus Sachsen für 243.200 Euro erworben wurde. Auch für den Doyen der DDR-Abstraktion, Hermann Glöckner, ist Lehr eine bewährte Quelle. Eine Privatsammlung aus Köln übernahm die „Symmetrische Projektion eines Keils mit Kammzügen“ aus Glöckners berühmtem Tafelwerk zu einem angemessenen Preis von 81.920 Euro. Das „Turmartige Mosaik“ bleibt in Berlin und erzielte einen Preis von 46.080 Euro, was eine Vervierfachung des Schätzpreises bedeutet.
Einer der wenigen Rückgänge der Hauptauktion betraf Hans Baluscheks sozialkritisches Gemälde „Auswanderer (in der vierten Klasse)“. Bei einer Schätzung von 30.000 Euro blieb das Nachtbild von 1909 unbeachtet und steht nun zum Nachverkauf bereit.
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