Würde Franz Kafka heute durch sein Prag gehen, käme er aus dem Staunen nicht mehr heraus: Da fährt eine Straßenbahn, die mit Zitaten aus seinen Texten geschmückt ist. Dort dreht sich eine elf Meter hohe, tonnenschwere Skulptur seines Kopfes. In einer Galerie läuft eine Ausstellung mit dem Titel „Kafkaesk“. Und in den Buchhandlungen der tschechischen Hauptstadt kaufen Touristen seine Bücher in allen Weltsprachen.
Als Kafka vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, in einem Sanatorium in Kierling bei Wien starb, war er vom Weltruhm weit entfernt. Seine Romanfragmente „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Der Verschollene“ waren unveröffentlicht geblieben. Dass wir sie heute bewundern können, verdanken wir allein Kafkas engem Freund Max Brod. Er ignorierte den letzten Willen seines Schriftstellerkollegen, alles vollständig zu verbrennen.
Franz Kafka Heute
Todestag ist Kafka in Fernsehen, Kino und Theater so präsent wie lange nicht mehr. „Kafka wäre schockiert, wenn er miterleben könnte, was heute passiert“, sagte sein Biograf Reiner Stach vor wenigen Tagen auf der Prager Buchmesse. Kafka habe sich am Ende seines Lebens als gescheiterter Schriftsteller gesehen, weil er viele Fragmente hinterlassen und keinen seiner Romane vollendet habe. „Wenn er das jetzt erleben würde, würde das seine Bilanz völlig auf den Kopf stellen“, sagte Stach.
Kafkas Hauptwerk Der Prozess“ beginnt mit einem der berühmtesten Anfangssätze der Weltliteratur: Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet. Von Anfang an wird der Leser in eine rätselhafte Welt der Justiz hineingezogen. Warum wird Josef K. verhaftet? Warum darf er trotzdem zur Arbeit ins Büro gehen? Doch statt wie in einem Krimi auf eine Auflösung zu warten, wird alles von Seite zu Seite merkwürdiger – bis hin zur Hinrichtung im Steinbruch.
„Todestag Kafkas ist eine kommentierte Neuausgabe erschienen, herausgegeben vom Kafka-Experten Stach. Er hält sich an Originalschreibweisen wie „verläumdet“ statt „verleumdet“. Und er erklärt Begriffe, die uns heute fremd erscheinen, wie Kleiderkasten für Kleiderschrank. Er geht auf religiöse und psychologische Deutungen des Textes ein – nur um zu dem Schluss zu kommen, dass sich die Suche nach dem „einen Schlüssel zu diesem Roman“ als Irrweg erwiesen hat.
Hinter der düsteren Fassade der Texte verberge sich bei Kafka oft ein bissiger Humor. „War er eine Frohnatur?“, wurde sein Weggefährte Max Brod einmal in einem Fernsehinterview gefragt. „Das ist zu viel gesagt! Er war nicht so depressiv, wie man ihn heute sieht, aber eine Frohnatur kann man ihn nicht nennen“, lautete die feinsinnige Antwort. Es ist nur eine von vielen Szenen, die der Illustrator Nicolas Mahler in seiner Comic-Biografie „Komplett Kafka“, die im November im Suhrkamp Verlag erschienen ist, mit scharfem Strich wiedergibt.
„Dank seiner scharfen Beobachtungsgabe und seiner Fähigkeit, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen, gibt es in seinen Schriften viele komische Momente“, sagt Mahler. Sein Ziel sei es gewesen, die humoristischen Elemente bei Kafka herauszuarbeiten, ohne eine Parodie zu produzieren. Dass Kafka ein weniger bekanntes Talent besaß, kam Mahler entgegen: „Ich habe Kafkas Zeichnungen lange studiert und in meine eigenen Zeichnungen einfließen lassen“.
Von der Resonanz auf seine Comic-Biografie ist der Wiener Zeichner überrascht: „Ich wusste zwar, dass Kafka ein sehr berühmter Autor ist, aber dass er zum Beispiel im arabischen Raum so populär ist, war mir neu“, sagt Mahler. „Vielleicht liegt es daran, dass er so wenig Konkretes beschreibt und dadurch universell lesbar ist“, vermutet der Wiener Künstler.
Von Kafkas Geburtshaus unweit des Prager Altstädter Rings ist heute nur noch das Eingangsportal erhalten, das beim Wiederaufbau nach einem Brand verwendet wurde. Die deutsch-jüdischen Eltern des Schriftstellers betrieben ein Kurzwarengeschäft und kämpften um sozialen Aufstieg. Auf Kafka lastete die Bürde des einzigen Sohnes, der Jura studierte und später bei der Arbeiterunfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen arbeitete. Nur seine Freizeit – und oft ganze Nächte – widmete Kafka seiner eigentlichen Leidenschaft, dem Schreiben.
Es gehört zur Tragik seines Lebens, dass der ewige Junggeselle erst kurz vor seinem Tod im Alter von nur 40 Jahren die Frau fand, die wirklich zu ihm zu passen schien. Es war Dora Diamant, die Kafka in einem jüdischen Ferienlager in Graal-Müritz kennenlernte. Sie stammte aus der Gegend von Lodz – und die Welt der orthodoxen Ostjuden faszinierte Kafka. Dora begleitete den unheilbar an Tuberkulose Erkrankten in seinen letzten Wochen in Kierling.
Die Kehlkopftuberkulose machte das Schlucken zuletzt schmerzhaft und fast unmöglich. Dennoch arbeitete Kafka noch am Tag vor seinem Tod an der Korrektur der Druckfahnen seiner Erzählung „Der Hungerkünstler“. Ein „grausames Paradoxon“ nennt Stach das in seiner Kafka-Biografie: „die Geschichte eines Menschen, der nicht mehr essen will, aufgezeichnet von einem Menschen, der nicht mehr essen kann“.
Sie haben alte Bücher und Schriften und wollen diese zu Geld machen? Dann kontaktieren Sie uns und wir helfen Ihnen weiter.