In der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die mehr nackte Haut zeigt als jemals zuvor in diesem Museum. Unter dem Titel „Velvet Rage and Beauty“ werden 280 Werke von Andy Warhol präsentiert, die eine obsessive Fixierung auf männliche Körper offenbaren. Der Titel der Schau bezieht sich auf das Buch „The Velvet Rage“ des kalifornischen Psychologen Alan Downs, der darin seine schmerzvolle Jugend als Homosexueller in einer heterosexuellen Welt beschreibt.
Schon in seinen frühen Werken zeigte Warhol eine Vorliebe für junge Männer. Diese Zeichnungen wurden oft mit Goldblatt veredelt. Trotz dieser künstlerischen Obsession hütete Warhol seine queere Identität und präsentierte sich der Öffentlichkeit als asexuell. Auf die Frage eines Interviewers, was er von Sex halte, antwortete er einmal abwehrend: „Gar nichts“, und ein andermal: „Sex ist zu anstrengend.“
Warhols Distanzierung von seiner Sexualität wirkt fragwürdig, wie ein Blick in den Katalog zur Warhol-Ausstellung 1968 im Stockholmer Moderna Museet zeigt. Dort sind Bilder aus seiner berühmten Factory zu sehen, die nackte Haut und intime Freundschaften offenbaren. Die Factory, Warhols Atelier, war ein Treffpunkt für schillernde Außenseiter. Ein bemerkenswertes Werk dieser Zeit ist der Film „Blow Job“ von 1964, in dem eine unbewegte Kamera das Gesicht eines jungen Mannes zeigt. Dieses Werk zeigt Warhols Neigung zum gedehnten, voyeuristischen Blick, der viele seiner Filme, Fotografien und Gemälde prägt.
Andy Warhol in Berlin
Die Berliner Ausstellung umfasst zahlreiche Werke, die Momentaufnahmen von Warhols kurzlebigen Liebesbeziehungen mit Personen wie Jed Johnson, Jean-Michel Basquiat und John Gould zeigen. Diese Werke dokumentieren auch seine Fixierung auf das männliche Genital, wie in den unzähligen Polaroids und Close-ups zu sehen ist, die gut gebaute männliche Modelle als zentrales Motiv haben. Diese Modelle wurden von Victor Hugo, einem Mitarbeiter der Factory, bereitgestellt, der selbst in einigen dieser Aufnahmen erscheint. Auf großformatigen Siebdrucken sind diese Elemente farblich überhöht und monumental dargestellt, doch bleibt der emotionale Funke oft aus.
In den späten 1970er-Jahren kehrte Warhol zu seiner frühen Leidenschaft für Zeichnungen zurück, die in ihrer Sinnlichkeit und Subtilität beeindruckend sind. Weniger sexuell aufgeladen, aber dennoch betont sexy sind die Porträts und Darstellungen prominenter Modelle wie Mick Jagger und Jean-Michel Basquiat.
Warhol betonte immer wieder, dass er sich als „business artist“ sah. Dies zeigt sich nicht nur in seinen berühmten Werken wie den Campbell’s-Suppendosen oder den Coca-Cola-Flaschen, sondern besonders in den Porträts der 1980er-Jahre, die nach Polaroid-Aufnahmen entstanden. Für diese Porträts zahlten prominente Auftraggeber jeweils 50.000 Dollar, ein Betrag, der in Warhols Lifestyle-Zeitschrift „Interview“ investiert wurde.
Neben den explizit erotischen Werken hinterfragen viele Exponate in der Ausstellung Geschlecht und Identität. Besonders hervorzuheben ist eine Serie von Polaroids, in denen sich Warhol geschminkt und mit verschiedenen Perücken als Trans-Person präsentiert. Diese Selbstporträts aus Warhols Spätzeit zeigen oft ein trauriges Gesicht und sind Vanitas-Studien der Vergänglichkeit und kaschierten Langeweile.
Lesen Sie auch: Andy Warhol – Von Bruehl